Valentin Blank, Oktober 2008

Tradition und Hightech-Verliebtheit

Uhrmacherkunst von Audemars Piguet

Willkommen in Le Brassus

Die Geschäftszentrale von Audemars Piguet liegt in einem Epizentrum, vielleicht gar dem Epizentrum der Schweizer Uhrenindustrie: dem Jouxtal. Mit einem Tal hat dieser abgelegene Fleck allerdings wenig zu tun, handelt es sich doch eigentlich um ein Plateau mit weitläufigen Wäldern und glitzernden Seen. Charakteristisch für die ganze Region ist das Zusammengehen von intakter Landwirtschaft einerseits und florierender Uhrenindustrie anderseits. Dem Uneingeweihten mögen diese beiden Industriezweige unverwandt erscheinen. Für unsere Zeit ist das auch zutreffend, in früheren Tagen bildeten die hiesigen Bauern hingegen das unentbehrliche Rückgrat der grossen Manufakturen des Jouxtals sowie auch der Genfer Uhrenbetriebe. In den “warmen” Monaten kümmerten sie sich um ihr Vieh und bestellten die Äcker, während sie im Winter in ihren eingeschneiten Häusern blieben. In der friedlichen Atmosphäre ihrer lichtdurchfluteten Dachböden — noch heute springen einem die grossen Dachfensterreihen der Bauernhäuser ins Auge — hatten sie alle Zeit, sich geduldig den winzigen Rädchen, Schräubchen und Hebelchen zuzuwenden, welche die Hersteller in ihre Taschenuhren und Pendulen einbauten. Ihr Feinhandwerk genoss einen exzellenten Ruf, der weit über das Vallée hinausstrahlte. Von Jules-Louis Audemars und Edward-Auguste Piguet 1875 gegründet, war Audemars Piguet eine der ersten Manufakturen des Jouxtals, welche sämtliche Teile für ihre Uhren unter einem Dach produzierte. AP hat Le Brassus seither stets die Treue gehalten und ihre ursprüngliche Manufaktur über die Jahrzehnte mehrfach erweitert. An zusätzlichen Standorten in Le Brassus errichtete AP spezialisierte Betriebe sowie auch in Le Locle und Genf. Auch Georges-Henri Meylan, Audemars Piguets sympathischer CEO, lebt in Brassus, was ihn von anderen CEOs der benachbarten Uhrenfirmen unterscheidet.

Ausschnitt eines Uhrmacherkittels mit dem Logo von Audemars Piguet

Willkommen bei Audemars Piguet!

Georges-Henri Meylan, CEO von Audemars Piguet

Georges-Henri Meylan, CEO von Audemars Piguet


Pflege der Tradition und Hightech-Verliebtheit

Sprechen Uhrenvernarrte von den ‘Grossen Drei’, meinen Sie Audemars Piguet, Patek Philippe und Vacheron Constantin. Alle drei Häuser geniessen einen unangefochtenen Ruf für ihre Luxusuhren höchster Güte und alle drei blicken zurück auf mehr als ein Jahrhundert (ununterbrochener) Geschichte. Und obschon diese drei Marken für den Grossteil ihres Sortiments in direkter Konkurrenz zueinander stehen, fand man sich sporadisch gar zu gemeinsamen Projekten. In einem Punkt aber hob sich Audemars Piguet immer deutlich von ihnen ab, nämlich in der spielerischen Aufgeschlossenheit gegenüber progressiven Gestaltungen sowie dem Einsatz neuer Materialien und technischer Lösungen. Die Royal Oak ist ohne Zweifel das prominenteste (und erfolgreichste) Beispiel dieser Philosophie. Für die traditionsorientierten Häuser Patek Philippe und Vacheron Constantin wäre es lange Zeit undenkbar gewesen, das Prestigebedürfnis ihrer gutbetuchten Kundschaft mit einer Stahluhr zu erschüttern. Doch Audemars Piguets Erfolg mit diesem provokativen Wurf war derart überwältigend, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als mit eigenen Interpretationen dieses neuen Genres auf den Markt zu treten — Patek Philippe mit der Nautilus 3700 und Vacheron Constantin mit der 222. Die Royal Oak ist nur ein — zugegebenermassen besonders eindrückliches — Beispiel für Audemars Piguets Hightech-Verliebtheit und ihr einzigartiges Geschick, ultramoderne Lösungsansätze mit klassischer Uhrmacherei zu vermählen.

Bezaubernde Aussicht eines Uhrenateliers von Audemars Piguet auf das Jouxtal

Wen würde diese Landschaft nicht inspirieren?

Ein Uhrmacher hinter dem Vorhang eines Präzisionsmessgeräts bei Audemars Piguet

Keine Wahlmaschine, sondern ein Präzisionsmessgerät

Regal mit Schuhen von Uhrmachen von Audemars Piguet

Ordnung und Sauberkeit sind in den Ateliers ein Muss

Schleifmaschine für das Abflachen der Royal Oak Lünetten von Audemars Piguet

Schleifmaschine für das Abflachen der Royal Oak Lünetten

Alte Fournituren für die Restaurierung historischer Uhren von Audemars Piguet

Alte Fournituren für die Restaurierung historischer Uhren

Uhrmacherwerkzeuge in einem Atelier von Audemars Piguet

Eines jeden Uhrmachers Handschrift: seine Werkzeugauslage

Graviermesser für die Handgravierung des Rotors von Audemars Piguet

Graviermesser für die Handgravierung des Rotors

Mit Brillianten besetze Royal Oak Gehäuse von Audemars Piguet

Haptische Freuden: Mit Brillianten besetzte Royal Oak Gehäuse


Die neue Fertigungsstätte für das Kaliber 3120

Während die letzten Bauarbeiten an der brandneuen Fertigungsstätte ‘des Forges’ noch im Gang sind, hat ein motiviertes und junges Team von Uhrmacherinnen und Uhrmachern mit der Produktion der Kaliberfamilie 3120 bereits begonnen. Die Nummer 3120 steht nicht einfach für irgendein beliebiges Uhrwerk. Vielmehr handelt es sich um das neue automatische Basiskaliber, welches AP von Grund auf und in eigener Regie entwickelte, um es 2005 auf den Markt zu bringen. Auf diesem Kaliber bauen etwa das 3123 (mit Mondphase) sowie das 3126 (mit Chronograph) auf, welche beide in ‘des Forges’ produziert werden. Das Gebäude wurde unter Befolgung neuester ökologischer Standards erbaut und liefert mit seinen lichtdurchfluteten Hallen ideale Arbeitsbedingungen für die Uhrmacher. Der Zusammenbau der Kaliberfamilie 3120 folgt einem ausgeklügelten Produktionsablauf, welcher eine maximale Qualitätskontrolle sowie höchste Konsistenz sicherstellt. Jeder Uhrmacher arbeitet an Tabletts, auf denen zwanzig Uhrwerke kreisförmig angeordnet sind. Jeder Teilchensatz trägt eine individuelle Nummer, sodass die jeweils gleichen Teile für ein und dasselbe Werk verwendet werden.

Die neue Fertigungsstätte für das Kaliber 3120 von Audemars Piguet

Die neue Fertigungsstätte für das Kaliber 3120

Ein Kuchen mit drei Tabletts für die Fertigungsstrassen bei Audemars Piguet

Einer der “Kuchen” mit drei Tabletts für die Fertigungsstrassen

Ein Tablett der Kaliberfertigung bei Audemars Piguet

Ein Blick auf eines der Tabletts: Noch fehlen die Unruhe und der Rotor

Eine Uhrmacherin von Audemars Piguet an der Arbeit am Tablett

Ein weiterer Schritt auf dem Weg des Kalibers 3120

Automatische Anbringung von Schmiermittel an 19 Punkten eines Uhrwerks von Audemars Piguet

Automatische Anbringung von Schmiermitteln an 19 Punkten

Regulierung eines fertigen Kalibers von Audemars Piguet

Regulierung eines fertigen Kalibers 3120


Die Genies von Le Locle

Wenn immer es ausgeklügelter Lösungen für komplizierteste uhrmacherische Probleme bedarf, steht eine Adresse zuoberst auf der Liste: die Audemars Piguet (Renaud et Papi) SA in Le Locle, eine eineinhalbstündige Autofahrt von Le Brassus entfernt. Das eindrückliche Schaffen der Uhrmacherinnen und Uhrmacher von APRP fand in der Tradition of Excellence Serie seinen bisher wohl faszinierendsten Ausdruck. Aus dieser Serie sollen acht Meisterstücke hervorgehen, jedes limitiert auf zwanzig Stück. Die erste Kreation wurde 1999 vorgestellt und vereint eine Minutenrepetition mit einem Tourbillon sowie einem Schleppzeigerchronographen in einem klassischen Jules Audemars Gehäuse. Unter Uhrenaficionados wird diesem Chronographen der buttrigste Auslösemechanismus nachgesagt. Das jüngste Stück aus der Tradition of Excellence Serie ist die Cabinet Nr. 5, eine einnehmende und mutige Kreation, ausgerüstet mit der hauseigenen, gänzlich ohne Öl auskommenden Hemmung, einem innovativen ewigen Kalender und einer toten Sekunde. Die Einzigartigkeit dieser Grande Complication wird durch das ovale Millenary Gehäuse gekrönt.

Werkbänke bei Audemars Piguet Renaud & Papi

Werkbänke bei Renaud & Papi

Eine junge Uhrmacherin von Audemars Piguet prüft ihre Arbeit an einem winzigen Werkteil

Eine junge Uhrmacherin prüft ihre Arbeit an einem winzigen Werkteil

Uhrmacherin mit Lupe und Mikroskop bei Audemars Piguet

Wo die Lupe nicht mehr genügt

Montage des Kalibers 2905 bei Audemars Piguet

Montage des fabulösen Kalibers 2905 mit AP Hemmung

Spezialausführung der Royal Oak Carbon Concept für einen italienischen Kunden von Audemars Piguet

Eine Spezialausführung der Royal Oak Carbon Concept


Im Karbon-Atelier

Audemars Piguets Offenheit gegenüber neuen Materialien verdanken wir die erste unter Verwendung von Karbon gebaute Uhr. Dieses fremdartige Material bietet nicht nur ein aussergewöhnliches Erscheinungsbild, es ist auch optimal für seine Verwendung als Gehäusematerial geeignet: es ist federleicht und gleichzeitig äusserst steif. So wie Stahl im Falle der Royal Oak, wurde bislang auch Karbon nie mit Luxusuhren in Verbindung gebracht. Einmal mehr gelang es Audemars Piguet einen nachhaltigen Trend zu setzen, dessen Einfluss auf die Modellpolitik der Konkurrenz unübersehbar ist. Die jüngste Karbonuhr von Audemars Piguet ist die Royal Oak Carbon Concept. Als erste Uhr der Welt ist bei ihr nicht nur das Gehäuse aus Karbon gefertigt, sondern auch das Werk.

Karbonschnüre für die Gussformen von Audemars Piguet

Karbonschnüre für die Gussformen

Gussformen für die Karbon Royal Oaks von Audemars Piguet

Kommt Ihnen diese Form bekannt vor?

Schmelzofen für den Guss der Karbonteile von Audemars Piguet

Schmelzofen für den Guss der Karbonteile


Nachwort

Die Geschichte von Audemars Piguet war stets geprägt von Superlativen. Aber Superlativen können auch andere Uhrenmarken für sich beanspruchen. Was Audemars Piguet wirklich hervorstehen lässt, ist deren einmalige Vermählung von reicher uhrmacherischer Tradition mit unerschöpflichem Wagemut. Selbst eingefleischte Anhänger dieser Marke fühlen sich manchmal von den neuen Modellen überrumpelt, allerdings nur um sich im nächsten Moment über beide Ohren in diese einzigartigen Meisterwerke zu verlieben. So soll es bleiben!

Manufaktur Audemars Piguet

Ein neuer Tag bricht an in Le Brassus


Nachdem ich das Vergnügen hatte, ausgiebig durch die verschiedenen Ateliers von Audemars Piguet zu spazieren und mit manch einem Uhrmacher zu plaudern, verlasse ich das Jouxtal tief beeindruckt von all den inspirierten Menschen, die seit 175 Jahren ihren eigenen Weg gehen.

Mein grosser Dank gilt der gesamten AP Belegschaft und ganz besonders den Herren Georges-Henri Meylan und Martin Wehrli.